Predigt von Thomas Corzilius (Sonntag, den 13.08.2023)
Liebe Gemeinde,
es gibt Fragen, die einen in ihrer Schlichtheit irritieren, verwirren, vielleicht in große Verlegenheit bringen … Und Kinder sind ganz groß darin, solche Fragen zu stellen, etwa: „Wo ist der Opa jetzt?“, wenn er gestorben ist … Oder „Wieso hatten Adam und Eva keine Eltern, alle Menschen haben doch Eltern!?“ … Oder „Haben alle Menschen einen Schutzengel?“
Eine solch schlichte Frage, die wir vielleicht auch anders formulieren könnten, lautet: „Wann geht die Welt unter?“
Neulich las ich das wieder irgendwo.
Und abgesehen von denen, die daraufhin unberührt oder belustigt mit den Achseln zucken, geistert diese Frage – in welcher Form auch immer – durch die Köpfe, Herzen und Seelen vieler Menschen, in unserer Gegenwart und in unserem fortschreitenden Weltgetriebe.
„Wann geht die Welt unter?“
Oder anders formuliert: „Wo wird das alles noch enden? Was werden wir noch erleben? Und woraus schöpfen wir Hoffnung?“
Nun sind mit der vergangenen Woche die Schulferien zu Ende.
Für Viele die ersehnte Auszeit im Jahresverlauf – Urlaub, Abstand, Erholung, einmal durchatmen und hoffenlich mal empfinden, dass das Leben auch so richtig schön ist … Und nun beginnt die Predigt mit einer solchen Frage – das will nicht passen, so kurz nach der Urlaubs-Pause …
Zumal in diesen Tagen doch Kinder ihre Schulzeit beginnen und Jugendliche nach beendeter Schulzeit ihren weiteren Weg ins Leben suchen … auf Zukunft hin, was sonst, und mit Hoffnung & Liebe begleitet!
Und Andere denken: Heute ist doch im Ablauf des Kirchenjahres – am 10. Sonntag nach Trinitatis – der sog, „Israelsonntag“. Und da gehört es sich wohl, dem Thema auch in der Predigt Raum zu geben … Aber wir werden gleich merken, was die Frage nach dem Weltenlauf gerade mit diesem „Israelsonntag“ verbindet …
Was also ist zu sagen und zu antworten auf die schlichte, aber doch in Vielen steckende und sie umtreibende Frage: „Wann geht die Welt unter?“
…
Ich lese als Predigttext heute aus Psalm 89 und 90:
„Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich
und nicht aufhören, seine Treue zu verkünden.
Denn ich sage:
Auf ewig steht die Gnade fest.
Und Deine Treue ist der sichere Grund.“
„HERR, Du bist unsere Zuflucht für und für.
Denn ehe die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen,
bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
….
Diese zwei Psalmworte sollen und dürfen wir heute morgen hören – am sog. „Israelsonntag“ – und verknüpft mit der Frage „Wann geht die Welt unter?
Zwei Psalmworte, die uns Grund unter unsre Füße geben – wo immer der Boden gerade wackelt und wie immer das Weltgetriebe im Fluss ist.
Zwei Psalmworte, die von Gnade und Treue reden, von Zuflucht und sicherem Grund.
Als Bekenntnis Israels und auch als unser Bekenntnis zu dem einen Gott, zu der einen göttlichen Wirklichkeit, die alles umfängt vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ende …
Doch der Reihe nach …
….
„Wann geht die Welt unter?“ lautet die schlichte Frage.
Und man muss zurückfragen:
Was ist gemeint mit dem „Wann“ und dem Erleben der Zeit?
Was ist gemeint mit „der Welt“, so pauschal und umfassend?
Und bedeuten die Worte „Untergang“ und „Untergehen“?
Dass unser blauer Planet im Universum nicht von ewiger Dauer ist, die Sonne in Jahrmillionen einmal erlöschen wird, eine neue Eiszeit kommt oder ein Riesenmeteorit irgendwann die Erde treffen könnte – das bedrängt uns ja nicht.
Wohl aber, dass wir Menschen selber uns und die Welt zeitnah zerstören, das schwebt über allem – und die Frage lautet: „Was werde ich, was werden unsere Kinder und Enkel noch erleben?“
„Weltuntergänge“ gab es ja immer – wenn Zivilisationen und Epochen zu Ende gingen, Weltreiche und Kulturen einander ablösten, die Pest oder Kriege alles zermalmten.
„Weltuntergänge“ sind kollektive, aber auch individuelle Erlebnisse, wenn einem Menschen die „Welt zusammenbricht“ durch ein Schicksal und angesichts des Todes.
Und was befürchten wir tatsächlich bei genauerem Hinschauen, wenn die Angst vor dem „Weltuntergang“ sich vorallem entpuppt als die Angst und Sorge, dass uns UNSER Wohlstand und Wohlergehen genommen wird, dass uns UNSERE bisher gewohnte Welt abhanden kommt?
…
„Die Hoffnung stirbt zuletzt!“, lautet so eine umgangsspachliche Redewendung.
„Wird schon, irgendwie!“
„Nicht immer nur schwarz sehen, das hilft niemandem!“
„Notfalls Augen zu und durch!“
„Es kommen auch wieder bessere Zeiten!“
„Was wir brauchen ist Optimismus und Zuversicht, nur daraus erwächst doch Tatkraft und Mut zur Veränderung!“
Wo immer wir uns in diesen Sätzen wiederfinden – am heutigen Israelsonntag werden unsere Herzen und unsere Blicke auf das gelenkt, was man neuerdings gerne das „Narrativ“ nennt, die Erzählung, die überlieferte und deutende Geschichte, mit der Menschen unterwegs sind.
Und das heißt für uns: Das BIBLISCHE Narrativ, die biblische Erzählung von einer göttlichen Wirklichkeit, von „Gott“ (was ja zunächst nur ein Wort ist), von dem Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs – dem von Israel bezeugten Adonai, dem mütterlich-väterlichen Gott – an den auch wir glauben dürfen in und durch Christus …
Von ihm reden unsere Psalmworte, die ich jetzt nocheinmal lese:
„Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich
und nicht aufhören, seine Treue zu verkünden.
Denn ich sage:
Auf ewig steht die Gnade fest.
Und Deine Treue ist der sichere Grund.“
„HERR, Du bist unsere Zuflucht für und für.
Denn ehe die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen,
bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Mehr als in den sicheren Zeiten, die hinter uns liegen, empfinde ich die Herausforderung, ob wir an diesem Bekenntnis und damit an der biblisch gezeugten Geschichte vom treuen, gerechten, suchenden, erlösenden und heilenden Gott festhalten – oder sie verlieren und preisgeben!
Ein Dazwischen sehe ich immer weniger, denn fürwahr – mit Bertold Brecht geprochen – „wir leben in finsteren Zeiten“.
In ruhigeren Zeiten – individuell und kollektiv – mögen wir Freiräume und Spielräume haben, um weltanschaulich und lebensdeutend gelassener und entspannter unterwegs zu sein.
In der Zeit, wie wir sie gerade erleben aber, da geht es ans Eingemachte.
Und wir sind eingeladen, berufen, ermutigt, an dem Biblischen Narrativ festzuhalten, das den uns bezeugten Gott in seiner Offenbarung als tragenden Grund und Zuflucht bezeugt.
In allen Synagogen und Kirchen.
Und auch außerhalb davon.
….
„Wann also geht die Welt unter?
Oft hört und liest man ja, dass es nicht mehr lange dauert.
Gerade die Rückkehr Israels in ihr Land und die Staatengründung sei – so sagen die vermeintlich besonders Bibeltreuen – der Startschuss für die baldige, unausweichliche, schon längst beschlossene Apokalypse und das Weltenende …
Ich interpretiere es – bei allen historisch, politisch brisanten und offenen Fragen rund um Israel, Palästina und den Nahen Osten – auch als Zeichen der Treue Gottes zu denen, die sich „sein Volk“ nennen dürfen.
Aber eben auch als Zeichen der Treue Gottes zu allen Menschen, zur gesamten Schöpung, die er nicht aufgibt.
Mit der Gott weiterhin ringt.
Und die er – durch welche Umbrüche, Untergänge und Erneuerungen – nicht preisgibt, wie wir es in jeder Anfangsliturgie Sonntag für Sonntag bekennen: „ … der Bund und Treue hält und niemals loslässt uns Menschen, das Werk seiner Hände!“
Und ich glaube nicht an einen von Gott verhängten Zeitplan des Untergangs, sondern auch weiterhin – mit einem trotzigen „Dennoch“ – an das Heil und die Heilung, die im biblischen Narrativ, Schalom, Reich Gottes, Neuer Himmel und Neue Erde heißt …
Ja, wir ringen damit.
Was noch wird an Menschenleid und Menschenschuld, an Untergängen und Neuanfängen, an Dunkelheiten und Lichterfahrungen, das wissen wir nicht.
Aber gerade der jüdische Glaube lehrt uns das wartende Dranbleiben an Gottes Heilsgeschichte.
Das Dranbleiben an Gott, dem die Welt noch – zu Recht – in Erwartung entgegen gehen darf.
Das Dranbleiben an Gott, der sich zu erweisen hat und sich erweisen wird als der Ribono shel Olam und Immanuel.
Das Dranbleiben an dem, der die mit den Schlächtern ins Gericht gehen wird und den Opfern der menschlichen Geschichte Zuflucht, Kraft und Trost bleibt …
An diesem Glauben mit Israel und der biblisch bezeugten Heilsgeschichte festzuhalten, das ist die Einladung dieses Israel-Sonntags heute!
AMEN