Interview mit Pfarrer Thomas Corzilius
Jens-Peter Enk: Lieber Thomas, sicherlich erinnerst Du Dich noch an den Moment, als Du zum Pfarrer in der Kirchengemeinde Unterbarmen-Mitte gewählt wurdest. Wie ist die erste Zeit für Dich gewesen?
Thomas Corzilius: Ich war damals – nach meiner ersten Pfarrstelle im Essener Norden – in einer privaten Umbruchsituation. Mein Dienstantritt war ein Neuanfang, mit meiner Frau und unseren Töchtern war es ein doppeltes Ankommen und heimisch werden. Aber auch in der Gemeinde war alles im Umbruch – Helga Schröck-Vietor kam kurz nach mir als Kollegin an die Hauptkirche, die Küsterstelle wurde mit Bernd Sohn neu besetzt, auch die A-Kirchenmusik-Stelle mit Ellen Beinert … Die Anfangszeit war also in jeglicher Hinsicht ein Neustart an der Hauptkirche, ein weites Feld der Möglichkeiten auf Zukunft hin.
Jens-Peter: Nun bist Du schon viele Jahre in der Gemeinde und kannst eine lange Zeit überblicken. Gibt es etwas, was sich die Jahre über in der Gemeindearbeit verändert hat?
Thomas: Seit den frühen 90ern hat sich so viel verändert, dass es schwer fällt, es zu benennen – heute sind wir eine fusionierte Gemeinde, die personell und strukturell wenig zu tun hat mit der damaligen dreibezirklichen Gemeinde „Unterbarmen-Mitte“, in die ich kam. Wir haben uns von manchem verabschieden müssen, Gemeindezentren und Kindergärten geschlossen, personelle Reduktionen verkraften müssen, auch kirchenkreisliche Veränderungen erlebt. Die Zahl der Gemeindeglieder ist kontinuierlich gesunken, das Wohn- und Lebensumfeld in den Bezirken hat sich verändert. Das damals eigene Unterbarmer Gemeindebüro in der Martin-Luther-Straße z. B. ist heute im Rückblick reine Nostalgie. Auch die regelmäßige 14-tägige Dienstbesprechung mit insgesamt 10 angestellten Kräften (inklusive Gemeindeschwester und zwei vollzeitlichen Kräften in der Kinder- & Jugendarbeit) war eine Gegebenheit, die sich nicht erhalten konnte. Aber es ist auch viel, viel Gutes und Neues gewachsen, auf den Weg gebracht und gestemmt worden im Gemeindeleben der letzten drei Jahrzehnte. Es gibt bei Vielen eine große Treue zur Gemeinde, Engagement und ehrenamtliches Mittragen.
Jens-Peter: Die Jahre über hast Du in unserer Gemeinde viel bewegt und aufgebaut. Gibt es Momente und Erlebnisse, die Dir in den Jahren besonders in Erinnerung geblieben sind?
Thomas: Ja, viele! Der große Innenumbau und die Umgestaltung der Unterbarmer Hauptkirche 2004 ist und bleibt ein großer Wurf – standortmäßig und auch im Blick auf das seither bunt gefüllte Leben im Kirchraum. Der bundesweit live gesendete ARD-Heiligabendgottesdienst 1996 bleibt natürlich ebenfalls unvergesslich. Projekte wie unsere langjährige samstägliche „Kinderkirche“, Familien-Freizeiten und die Konfi-Wochenenden mit den Teamern, mein Meditationskreis und die damit verbundenen Einkehrtage bleiben ebenso dankbar in Erinnerung. Ich freue mich über unseren „Unterbarmer Kinderteller“, den es nun auch schon 10 Jahre gibt. Mittlerweile ein Verein, aber weiterhin mit Gemeindeunterstützung und in unseren Räumen. Und ein großes Geschenk war für mich 2003 die 5-wöchige Reise nach Sumatra, ein Projekt der VEM, die mich als Teil eines „United in Mission-Teams“ dazu geholt hat.
Jens-Peter: Die letzten Monate hat es viele Veränderungen in der Gemeinde gegeben. Obendrauf noch Corona und die eingeschränkte Gemeindearbeit. Dennoch hast Du die Aufgaben und Herausforderungen stets motiviert angepackt. Was gibt Dir dazu die Kraft?
Thomas: Meine Frau ist nicht nur in diesen Corona-Zeiten, sondern durch all die Zeit hindurch, meine bleibende und kontinuierliche Unterstützung! Aber grundsätzlich erlebe ich auch, dass es in dieser Gemeinde ein starkes „Wir“ gibt, dass wir, die wir dienstlich miteinander unterwegs sind, ein gutes Team sind – atmosphärisch, in der Zusammenarbeit, im Umgang miteinander. Auch wenn Corona uns viel verbaut und reduziert hat, haben wir uns im Umgang damit an vielen Stellen gemeinsam bewährt.
Manchmal offenbaren und verstärken Krisen ja, was alles schon zuvor im Argen lag – ich erlebe eher, dass die vergangenen 1 ½ Jahre den Zusammenhalt gefestigt und bestätigt haben. Wie schön, das sagen zu können – wie immer es nun weitergeht.
Jens-Peter: Pfarrer Frickenschmidt und Pfarrer Albat genießen nun ihren Ruhestand. Noch ein paar Jahre, dann darfst auch Du Dich in den Ruhestand verabschieden. Für uns ist das jetzt schon traurig! Aber wie geht es Dir, wenn du auf diese Zeit blickst?
Thomas: Seit einiger Zeit ist es ein komisches, noch unwirkliches Gefühl, das eigene Berufsende und damit das Ende der Gemeindezeit immer näher kommen zu sehen. Es gibt einerseits schon das deutliche Erleben, dass Kräfte und Energien im Älterwerden und im Dauer-Getriebe der Gemeindejahre nicht immer so da sind. Und irgendwann dürfen dann auch Andere weitermachen – die Kunst des Loslassens eben. Aber noch bin ich ja da – und das nach wie vor sehr gerne.