Predigt zum Markusevangelium 12,1-12

17.3. 2019 Hauptkirche Unterbarmen, Sonntag Reminiscere

 

Markusevangelium 12,1-12

1 Ein Mensch pflanzte einen Weinberg

und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter

und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner

und ging außer Landes.

2 Und er sandte, als die Zeit kam,

einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Wein-gärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.

3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn

und schickten ihn mit leeren Händen fort.

4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht;

dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.

5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie;

und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.

6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn;

den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich:

Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.

7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander:

Dies ist der Erbe;

kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!

8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn

und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?

Er wird kommen und die Weingärtner umbringen

und den Weinberg andern geben.

10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen:

»Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,

der ist zum Eckstein geworden.

11 Vom Herrn ist das geschehen

und ist ein Wunder vor unsern Augen«?

12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen,

und fürchteten sich doch vor dem Volk;

denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte.

Und sie ließen ihn und gingen davon.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Jesus erzählt ein Gleichnis Einige seiner Zuhörer merken, dass sie gemeint sind.

Sie ärgern sich. Sie fühlen sich angegriffen, verleumdet.

Am liebsten würden sie ihn verhaften lassen. Aber sie trauen sich nicht.

 

Es ist Teil der Leidensgeschichte Jesu, dass seine Verkündigung Menschen kritisch angesprochen hat und sie darauf negativ reagiert haben. Seine Predigten waren vielen ein Dorn im Auge, und manchen sogar so sehr, dass sie Jesus dafür aus dem Weg haben wollten. Das Gleichnis, das Jesus erzählt, ist das Evangelium des heutigen Sonntags. Welche Wirkung hat dies Gleichnis heute?

 

Es geht in diesem Gleichnis ja um ein Thema, das sich durch die ganze Bibel hindurch zieht.

Gott erwartet etwas von uns.

In besonderer Weise von denen, die er zu seinem Volk, oder auch zu seiner Gemeinde berufen hat.

 

Einer der älteren Pfarrer in Unterbarmen, Wilhelm Flender, hat häufiger Christoph Blumhardt erwähnt, einen sozial engagieren Pfarrer, der um 1900 in Bad Boll gewirkt hat. Von dem griff Flender gerne ein Zitat auf, er habe ungefähr so gesagt:

„Wir trösten uns mit dem 23 Psalm:

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Wir singen: Weil ich Jesu Schäflein bin.

Wir dürfen nicht verschweigen,

dass unser Hirte die Wolle haben will.“

Unser Hirte will tatsächlich die Wolle haben.

Er erwartet etwas von ans.

Das mag ganz ungewohnt für viele klingen.

Kommen wir nicht zum Gottesdienst, um uns Zuspruch zu holen?

Geht es im Gottesdienst nicht darum, was Gott uns schenkt?

 

Schauen wir uns die alten landwirtschaftlichen Bilder vom Hirten und vom Weinbauern einmal an.

Das Bild vom Hirten stammt ja aus der Zeit,

in der die Israeliten noch Nomaden waren.

Als sie sesshaft wurden, als Bauern lebten,

verwendeten sie ein weiteres Bild für die Fürsorge Gottes.

Das Bild vom Weinberg.

 

Sorgfältig gepflegter, wertvoller Besitz eines sesshaften Israeliten,

in dem Land, das Gott gegeben hatte: das war ein Weinberg.

Schon der Prophet Jesaja hat dies Bild gebraucht.

Und da hat er auch benannt, was Gott als Frucht von seinem Volk erwartete. Er erwartete Rechtsspruch, und fand Rechtsbruch, er erwartet Gerechtigkeit und fand Geschrei über Schlechtigkeit.

Was gefragt ist im gemeinsamen Leben, ist an Gerechtigkeit orien-tiertes, faires Miteinander.

Die Bildwelt, die Jesus in seinem Gleichnis ausspricht, war den frommen Israeliten also vertraut. Säen und ernten, einen Weinberg pflegen und beschneiden, das gehörte zum Alltag.

Und die Weinlese war ein Festtag.

 

Jesus hat gern solche Bilder aus der Landwirtschaft gebraucht.

Das Gleichnis vom Senfkorn, vom Sämann, vom vierfachen Acker, u.s.w.,  und gerade auch das Bild vom Weinberg.

Hier erzählt er von den Arbeitern, die ein Herr in seinen Weinberg schickt. Er sagt hier auf neue Weise so etwas wie:

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Oder wie

„Es werden nicht alle, die zu mir sagen Herr, Herr in das Himmel-reich kommen, sondern die auch wirklich den Willen meines Va-ters im Himmel tun.

Und nicht zuletzt sagt er seinen Jüngern:

Ich bin der Weinstock, Ihr seid die Reben, die nur Frucht bringen können, wenn sie an ihm, dem Weinstock bleiben.

 

Das Abendmahl, das wir heute mit den Früchten des Weinstocks feiern, ist die für uns erlebbare Zusage, dass wir bei ihm bleiben können und er bei uns bleiben wird. Erst aus diesem an ihm bleiben heraus können wir Frucht bringen.

Auch Paulus sagt etwas über Fruchtbarkeit, über Ertrag (Gal 5):

„22 Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld,

Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut, Keuschheit;…“, also alles, was ein gutes menschliches Miteinander ausmacht.

Das erwartet Gott von uns, danach werden wir einmal gefragt.

 

Aber – und jetzt kommt etwas wichtiges –

Gott erwartet dies nicht als Einzelleistungen einzelner besonders frommer Leistungsträger. Das Evangelium verbreitet hier nicht das Motto „Leistung soll sich lohnen“ an sich. Das geschieht ja meist auf eine Weise, die alle, jede und jede für sich,  zu verbissenen Einzelkämpfern macht, die sich anstrengen, besser als andere zu sein, nur diesmal nicht in einer Firma oder beruflichen Laufbahn, sondern um in den Himmel zu kommen.

 

Jesus  erwartet die Schafwolle stattdessen von der aufeinander bezogenen Gemeinschaft seiner Gemeinde, von der Herde!

Er sagt nicht: ohne mich kannst du als Einzelner nichts tun. Er sagt: ohne mich könnt ihr, also ihr zusammen, nichts tun.

Miteinander bei ihm bleiben, miteinander auf sein Wort hören,

einander ergänzen. Nicht „mein Vater im Himmel“, sondern „unser Vater im Himmel“. Das Christentum ist keine Religion für den Privatgebrauch, für das Seelenheil des oder der Einzelnen.

 

Fruchtbarkeit hat ein anderes Konzept als individueller Erfolg: da hängen viele Reben an einem Weinstock und reifen zusammen und bringen Frucht. Es geht nicht um die einzelne Traube und ihren Ertrag. Die macht nicht die Ernte aus. Und der christliche Glaube hat sehr klare  Vorschläge dafür, was das praktisch be-deutet:

Die Defizite des anderen ausgleichen, und die eigenen Defizite durch andere ausgleichen lassen. Wann haben Sie das letzte Mal zu jemand gesagt: Danke, dass Du meine Schwäche ausgebügelt hast? Versuchen wir nicht oft lieber, das eigene Gesicht zu wahren und unsere Fehler lieber unauffällig zu überspielen, damit man nicht zu viel davon merkt?

 

Mir ist aufgefallen: gerade da, wo Menschen sich richtig reinhängen, um etwas zu erreichen, wie in einem Fußballspiel, das ja nur als Mannschaftssport gut funktioniert, gibt es offene Gesten für so ein Verhalten. Wenn da ein Verteidiger einen Fehler macht und der Torwart den Fehler gerade noch ausbügeln und die Gefahr abwenden kann, dann läuft der Verteidiger hin und klatscht ihn ab, und der Torwart nimmt den Dank genauso bereitwillig an. Diese Art von Mannschaftsspiel, die ist charakteristisch für unseren Glauben!

 

Also nicht mit den eigenen Gaben den anderen oder die andere an die Wand spielen, sondern sich wechselseitig helfen lassen, das hilft wirklich. Und außerdem: Was schafft mehr wirkliche Gemeinschaft, ich meine gleichberechtigte Partnerschaft? Wenn einer sagt: Hilf mir bitte, oder wenn einer sagt: Ich mach das schon für dich. Es geht um wirkliches, für alle  spürbares Miteinander.

 

Jesus hat uns schließlich ja auch nicht einfach nur herablassend eine Kleinigkeit von seiner Göttlichkeit abgegeben. Nein, ganz im Gegenteil,  er hat unser schwaches, angefochtenes, zerbrechliches Menschsein mit uns geteilt, bis zum Tod am Kreuz. Jesus hat nicht nur mit der Kraft Gottes Menschen vom Leiden befreit, sondern er hat zugleich auch umgekehrt an ihrem Leiden teilgenommen.

Und gerade auf diesem hingebungsvollen Weg des Mitleidens hat er auch seine Kraft auf eine tiefere, bedeutsamere Weise an uns weitergegeben. Gott hat diese hingebungsvolle Verletzlichkeit in die überwältigende Kraft der Auferweckung münden lassen. In Jesu leidensbereiter Hingabe ist Gott ganz gegenwärtig.

 

Wenn Gott uns also fordert, wie es im Gleichnis steht, dann will er zwar Ertrag sehen. Aber er will nicht irgendeinen Ertrag sehen, sondern den Wein des Lebens.

2 Und er sandte, als die Zeit kam,

einen Knecht zu den Weingärtnern,

damit er von den Weingärtnern seinen Anteil

an den Früchten des Weinbergs hole.

Das ist Gottes Anteil: dass das Evangelium seine Bedeutung und Kraft in unserem Leben wirken kann und so fässerweise vom Wein der Gottesliebe und Menschenliebe in Umlauf kommt. Diese se-gensreiche Lebensvermehrung nimmt Gott gern aus unseren Hän-den an.

 

Manche Menschen hatten und haben sich leider an ganz andere Arten von persönlichem Ertrag für das eigene Leben gewöhnt, an das, was sie für ihren persönlichen Gewinn, ihren Anspruch, ihren Platz im Leben halten. Sie haben sich damals gerade an dieser Art von Ertrag geärgert, die Jesus fordert, und sie tun das auch heute.

 

Wir Menschen sind immer in Versuchung, einer anderen Art von Ertrag nachzujagen, die sich so leicht verselbständigt, ohne dass man es richtig merkt.  Dann will man ungeachtet anderer vor allem alles Mögliche für sich selbst bekommen und behalten. Dann neigt man dazu Leben zu verbrauchen, ohne es zu bereichern. Gottes- und Menschenliebe kommen dabei leicht zu kurz.

 

Aber Gottes und Jesu Forderung nimmt uns viel weniger, als sie uns gibt. Das ist so typisch Gott: noch in dem, was Gott uns abverlangt, will er uns eigentlich reich machen!

Denn: Was macht Gott eigentlich mit dem im Gleichnis und auch von uns geforderten Ertrag?

Gott sackt ihn doch nicht ein!

Er deckt damit den Tisch für alle!

Er bereitet gemeinsam mit uns damit das Fest des Lebens vor!

 

Wir lassen uns jetzt noch einmal den ungewohnten Satz sagen:

Gott erwartet etwas von uns. Er erwartet, dass wir Jesus als sein Wort verstehen.

Er darf in der Gestalt Jesu unsere Ansprüche durch seine in Frage stellen.

 

Wir wollen das nicht missverstehen und daran Anstoß nehmen wie im Gleichnis.

Denn: Ist es im genannten Sinn nicht eine große Ehre, an dem, was Gott durch Christus in die Welt bringt, mitwirken zu dürfen und zu können?

Gehört das nicht eigentlich zu unserer Menschenwürde vor Gott?

Wir sind Gott würdig und wert, Wesentliches mit beizutragen zum  Fest des von Gott geschenkten Lebens! Gott lässt uns schon jetzt an den Früchten kosten. Das geschieht auch, wenn wir als Gemeinschaft, die es gut miteinander meint, zum Abendmahl gehen.

 

Gott will uns in der ihm eigenen Freude unbedingt mit dabei haben!Er will mit uns, und wir sollen mit ihm seine Schöpfung gestalten.

Lasst uns nicht aufhören, ihn dafür um seinen Geist zu bitten,

dass wir Frucht bringen in einer Welt,

in der es sich lohnt, über Gott zu staunen

und füreinander da zu sein.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,

segne und bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.