Predigt „Sturmstillung“ (Markus 4, 35-41)

Predigt „Sturmstillung“ (Markus 4, 35-41)

Predigt „Sturmstillung“ (Markus 4, 35-41)

Einmal in meinem Leben habe ich selbst etwas erlebt, was mich an den für heute vorgeschlagenen Predigttext heranführt.

Es passierte nicht auf dem weiten Meer und es war auch nicht lebensbedrohlich. Aber es war schon beängstigend – und verbunden mit Aufregung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins..

Wir segelten mit unserer kleinen Jolle los, unter blauem Himmel, bei strahlender Sonne. Irgendwann in den frühen 80ern, auf dem Steinhuder Meer.

Aber als wir schon recht weit draußen waren, zog sich der Himmel innerhalb von Minuten finster zu – so schnell, wie ich es noch nicht erlebt habe.

Es warnblinkte vom Ufer, der Wind kam, der Himmel war binnen Minuten dunkel und uns war klar, dass wir es nicht mehr schaffen würden, zum Ausgangssteg zurück zu kehren.

Im Nachhinein erinnere ich mich nur noch, dass wir es noch geschafft haben – inmitten des eingebrochenen Unwetters – irgendwie mit dem Boot an ein anderes Ufer zu kommen, dass wir kurz vorher doch noch fast gekentert wären und beim Anlegen das Boot fast verloren hätten …

…….

Und nun lese ich, eingestimmt mit dieser Erinnerung – und Sie vielleicht auch erinnernd an irgendeine Boot & Wellen-Erfahrung – den heutigen Predigttext:

Am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Da erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.

Eaber war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?

Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.  Daraufhin sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!

L.G.

Gibt es einen Schlüsselsatz, ein Schlüsselwort, in dieser Geschichte?

Für mich ist es die Angst, die Furcht.

Und die Frage Jesu an seine Jünger: „Was seid Ihr so furchtsam?“

Bei manchen Bibeltexten mag es ja etwas mühsam sein, den Bogen zu schlagen zu uns, unserem Leben und Welterleben.

Aber mit der Angst, der Furcht der Jünger, die da im schaukelnden Boot sitzen, von Wellen und Sturm bedrängt, das Kentern und Ertrinken vor Augen, das Untergehen und in die Tiefe gezogen werden, damit können wir alle existentiell und erfahrungsnah, etwas anfangen.

 

Wenn wir Angst haben – oder besser: Wenn die Angst uns hat! – als Lebensangst, als Weltangst, als Todesangst – als konkrete Furcht vor etwas Bestimmtem – , dann gibt es manchmal kaum ein Entrinnen.

Egal, was die vielen Lebensratgeber uns ans Herz legen.

Oder egal, was uns an Tröstungen, Aufmunterungen und Beschwichtigungen mitten in der Angst begegnet.

Angst und Furcht umklammern und beschatten nicht nur unsere natürlichen Regungen.

Umklammert und beschattet werden auch unser christliches Glauben, Hoffen und Lieben.

 

Denn das ist ja zunächst die Pointe unserer Geschichte.

Dass Jesus ja bei ihnen ist, neben ihnen, mit ihnen.

Aber das ändert nichts am Sturmerleben, an Wind und Wellengang.

 

Wie oft ist eigentlich in der Bibel von Angst und Furcht die Rede?

Und wie oft hören wir ein „Fürchtet Euch nicht!“?

 

Heinrich Albertz – der 1993 verstorbene evangelische Pfarrer und Politiker – schreibt in einem seiner letzten Bücher mit dem Titel „Der Wind hat sich gedreht“ folgende Sätze – im Zusammenhang mit der Weihnachtsgeschichte:

Das erste, was die Stimme ihnen (den Hirten) sagt, ist, dass sie sich nicht fürchten sollen. Ich habe mein Leben lang meine Freude daran gehabt, dass dies das erste Wort des Engels war. Furcht ist die grösste Gefahr für die Menschen. Furcht macht unsicher. Furcht lähmt. Die Mitteilung von der Geburt Jesu beginnt mit der Befreiung von Furcht. Ach, wenn die Christen das über die Jahrhunderte nicht immer wieder vergessen hätten.“

 

Was ist in diesen vergangenen 48 Tagen seit Heiligabend nicht schon wieder alles passiert, was uns Angst macht?

Wovor fürchten wir uns, wohl zu Recht?

Was sind die Ängste, die Sie – im längst fortschreitenden Kalenderjahr – heute morgen mitgebracht haben in die Kirche?

……

Bevor wir weiter über Gott reden und über Jesus im Boot, lasst uns einen Augenblick bei unserer Seele bleiben.

Denn sie ist unser Innerstes – und sie kann gefangen sein in Angst, überschattet von Furcht.

Sie kann betrübt, verzagt, bedrängt und gequält sein.

So, wie der Titel eines Fassbinder-Films: „Angst essen Seele auf!“

Wo immer die Wellen herkommen, der Wind weht und die abgründige Tiefe uns vor Augen ist.

 

Viele Bibelstellen reden davon:

Meine Seele darnieder. Meine Seele will sich nicht trösten lassen!“ heisst es in den Psalmen.

Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben!“ in den Klageliedern.

Leib und Seele“ können „verschmachten“

Und vom „Schaden nehmen an der Seele“ redet auch Jesus.

Und immer, immer wieder, ist es die Angst und die Furcht, die unsere Seele frisst, auf tausenderlei Weisen.

Doch nun in unserer Erzählung: Jesus bei seinen Jüngern im Boot, mitten im Sturm.

Wohlgemerkt im Sturm.

Nicht vorweg bewahrt vor dem Sturm.

Nicht ohne die Zumutung des Sturms.

Nicht ohne das Erleben des Sturms.

In meiner Heiligabendpredigt – in der das große „Fürchtet Euch nicht!“ der Engel laut wurde und die jährliche „Gute Nachricht“ über aller Welt verkündet wurde – habe ich davon gesprochen, dass es durchaus auch eine „schlechte Nachricht“ gibt!

Und die besteht – so habe ich es gesagt – „schlichtweg darin, dass die Bibel (und aus ihr beziehen wir unseren jüdisch-christlichen Glauben) ein sehr realistisches Buch ist.

Sie sieht uns Menschen und den Lauf der Welt mit ihren Dramen, Tragödien und Katastrophen, ganz nüchtern.

Sie verklärt die Welt nicht und schenkt uns keinen billigen Trost, keine falsche Beruhigung, keine Story von einem lieben Gott, der schon irgendwie all das reparieren oder verhindern wird, was wir Menschen anrichten und wozu wir im Stande sind!“

Doch wo immer wir uns gerade befinden, sage ich heute morgen, –

  • in unseren persönlichen Fahrwassern, Wellen und Stürmen, ganz für uns geängstigt
  • als Schiff, das sich Gemeinde nennt, und in den kommenden Monaten & Jahren und nochmal sehr mit Kurshalten beschäftigt sein wird
  • oder im Blick auf die Weltlage und das Weltgetriebe, mit dem Horizont eines neuen Wettrüstens –

in unsere Furcht, in unsere durchaus berechtigten Ängste hinein, hören wir von dem, der da ist, im Boot, bei den Jüngern, bei uns.

Und unsere aufgescheuchten Seelen sollen es hören und erfahren, dieses „Fürchtet Euch nicht! Vertraut mir – auch jetzt gerade, was immer Euch ins Wanken bringt!“:

….

Am Ende der Geschichte heisst es: „Wer ist denn dieser, dass auch der Wind und der See ihm gehorsam sind?“! …

Und das ist nochmal mehr als unsere befriedete Seelenbefindlichkeit, da geht es um die Fundamente der Welt!

Alle drei synoptischen Evangelien – Matthäus, Markus & Lukas – erzählen uns diese Geschichte.

Und wir hören sie in alle Stürme und Wellengänge hinein als Christinnen und Christen, als Kirche und Gemeinde, auch schlicht als Weltmenschen und Erdenbürger mit unserem kleinen Leben.

 

Jesus, der Jesus unseres Glaubens, so lesen wir, ist mit im Boot.

Er schläft.

Eine rätselhafte Stelle.

Oder auch nicht.

 

Denn das Boot droht ja nun mit Jesus zu kentern.

Nicht nur die Jünger, auch Jesus selbst würde ja mit untergehen, der Tiefe und dem Sturm zum Opfer werden.

Er mit Ihnen, sie mit ihm, würden in Schicksalsgemeinschaft verschluckt.

 

An dieser Stelle wird’s nochmal ernst.

Denn wie oft zweifle ich manchmal, dass all das, was wir tun und glauben – auch in einem Gottesdienst wie jetzt – nur fauler Zauber ist – dass wir uns was vormachen – in einer religiösen Phantasieblase leben und glauben!

Dass all unser Tun – in diesem Boot – am Ende auf ein kosmisches Hohngelächter trifft, wenn der Vorhang fällt!?

 

Doch genau damit sind wir, am Ende der Predigt, wieder an ihrem Anfang.

Als ich nämlich sagte:

Angst und Furcht umklammern auch unser christliches Glauben, Hoffen und Lieben.

Angst und Furcht nagt und frisst auch an den Fundamenten unseres Gottvertrauens:

Gib auf! Wirf hin!

Glaub nicht mehr, hoff nicht mehr, lieb nicht mehr in der Nachfolge Jesu.

Und wenn das Boot des Lebens und des Weltgetriebes eben schicksalsmäßig „Titanic“ heisst:

Dann schick Dich drein!

Lächeln sie nicht zu Recht darüber, dass Du dich immer noch zur Kirche hältst, den alten Kirchentagsträumereien von „Frieden, Gerechtigkeit & Bewahrung der Schöpfung“ anhangst oder nachtrauerst und Dich immer noch dafür engagieren willst und betest, und am Sonntagmorgen Bett & Brunch gegen Bibel & Beten eintauschst??!

..

Merken wir, wie es schaukelt und wackelt und ins Boot hinein schwappt?

Und so schließe ich die heutige Predigt mit einem kurzen Gebet:

 

Allmächtiger und barmherziger Gott

mit den Jüngern sitzen wir im Boot

und eines jeden Angst und Furcht siehst Du

jetzt und hier

unsere verzagten Seelen

und auch unser Angefochtensein

wo immer der Sturmwind her bläst

und die Wellen schlagen

Wir glauben

Aber hilf unserem Unglauben

Erweise Dich als Herr über Sturm und Wellen

schenke unseren Seelen und Herzen Frieden

wo immer wir unterwegs sind

und lass uns den Abgründen trotzen

weil Du der Herr bist und bleibst.

Amen

Thomas Corzilius