Predigt zu Röm. 12, 9 – 16; 20.1.2019, Unterbarmen

Predigt zu Röm. 12, 9 – 16; 20.1.2019, Unterbarmen

Liebe Gemeinde!

Ich muss Sie gleich auf eine kleine Reise zu möglichen Übersetzungsentscheidungen zu unserem heutigen Pre­digttext mitnehmen, aber vorweg ist da noch etwas an­deres, was ich Ihnen erzählen möchte; Sie werden mer­ken, dass es durchaus relevant ist:

Wissen Sie, was ich – auch im Rückblick auf meine Kindheit, in der ich ihn kennenlernte – am Protestantis­mus, am evangelischen Glauben, am schönsten finde? Seine Fröhlichkeit.

Da war nichts Verkniffenes, niemand erging sich in Ge- und Verboten (jedenfalls religiösen, andere gab es natürlich schon), und wenn es einmal hieß, dass Gott alles sehe, dann dann war das keine bedrohliche, sondern eine gute Botschaft, denn es bedeutete: Du bist bestens aufgehoben.

Das war in der ganzen Familie so, nicht nur bei mir zu Hause. Alle liebten gutes Essen; auch die dazu gehören­den Bierchen, Schnäpschen und Weinchen wurden  – in Maßen – nicht verachtet. Familienfeiern waren höchst beliebt und wurden begangen, dass die Schwarte krachte.

Die Kirchlichkeit war – soweit sie gepflegt wurde, was im teil-heidnischen Schleswig-Holstein, wo die meisten Verwandten saßen und wo ich meine schönsten Kinderferien zubrachte, natürlich nicht alle im gleichen Maße taten – von der  selbstverständlichen landeskirchlichen Sorte; es gab keine Betschwestern und keine salbadernden Brüder. Niemand hielt sich für superfromm.

Ja, so war das im Großen und Ganzen. Natürlich konnte vor allem meine Mutter – Lehrerin… – auch ziemlich gut Moralin, aber das ließ sich insgesamt und in dem gan­zen Zusammenhang denn doch einigermaßen ertragen, manchmal auch einfach weglachen. Es herrschte ein fröhliches Luthertum. Das ist, glaube ich, nicht ganz unwichtig. Natürlich habe ich später auch die verkniffeneren Varianten des Protestantismus kennengelernt, die kamen allerdings mit einigen Ausnahmen  eher aus der reformierten Ecke; nicht umsonst sieht Calvin auf vielen Portraits aus, als sei er magenkrank…

So, nun aber zum Text und zur angekündigten Reise in Sachen Übersetzungsmöglichkeiten. Der Text steht im 12. Kapitel des Römerbriefes und enthält ganz viele

Verbformen, die einfach als Aussage übersetzt werden können oder – als Befehl. Letztere Variante hört sich so an:

Lesung Röm 12, 9 – 16 Lutherbibel 2017

Die erste Variante klingt so:

Lesung Röm. 12, 9 – 16 Zürcher Bibel 2007

Merken Sie, wie unterschiedlich das klingt? Auf der einen Seite lauter Ermahnungen – Luther wird der Über­schrift gerecht, die, wieder in seiner Übersetzung – Pau­lus dem ganzen Abschnitt gibt (12,1): „Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern.“ Auf der anderen Seite viel weniger Ermahnungen, sondern eben Aussagen: „So sind wir.“ Und die Überschrift über den Abschnitt ist ent­sprechend anders gewählt: „Ich bitte euch nun, liebe Brüder und Schwestern.“

Sie können sich vorstellen, welche Übersetzung, bei al­ler Liebe zu Luther, mir mit meinem persönlichen Hinter­grund besser gefällt. Aber sie gefällt mir nicht bloß aus dem Bauch heraus besser. Ich meine auch, dass sie evangelisch angemessener ist. Ich finde nämlich, dass zu einem protestantischen Menschen einfach eine gewisse Grundfröhlichkeit gehört.

Damit meine ich nicht diese aufdringliche Aufgekratzt­heit, die manche Menschen um sich verbreiten können. Ich meine auch nicht jenes lieblich-milde Dauerlächeln, mit dem manche unter den besonders Frommen ihre Umgebung beglücken. Nein, ich meine eine handfeste, lebensnahe und lebensbejahende, den Menschen zu­gewandte Leichtigkeit, die wie ein Grundton immer zu hören ist und wie eine Grundfarbe immer ausstrahlt. Ich meine das, was Hanns Dieter Hüsch in seinem wunder­baren Gedicht so einzigartig in Worte gefasst hat:

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.

Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,

mein Triumphieren und Verzagen,

das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin

in meinem kleinen Reich?

Ich sing und tanze her und hin

vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin

an vielen dunklen Tagen?

Es kommt ein Geist in meinen Sinn,

will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert

und mich kein Trübsinn hält?

Weil mich mein Gott das Lachen lehrt

wohl über alle Welt.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.

Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,

mein Triumphieren und Verzagen,

das Elend und die Zärtlichkeit.“

Das ist – übrigens von einem reformierten Christen aus Moers – eine evangelische Theologie, die – ja: besser ist als die von Luther selbst hier in seiner Übersetzung. Sie erfasst genau das, was gemeint ist, indem sie ganz schlicht sagt: Ich bin geliebt von Gott, deshalb bin ich fröhlich. Was sie nicht sagt ist: Gott hat dich lieb, darum sei gefälligst fröhlich; oder hängt dem Guten an; oder seid herzlich in der Liebe; oder seid nicht träge, seid ge­duldig, seid beharrlich, freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.

Sondern sie sagt: Wir sind so. Wir wissen uns von Gott geliebt, darum hängen wir dem Guten an, kommen ein­ander in Achtung zuvor, zögern nicht in der Hingabe, brennen im Geist, dienen dem Herrn, freuen uns in der Hoffnung, sind geduldig in Bedrängnis, beten, kümmern uns um die Nöte der Heiligen, sind gastfreundlich. Wir freuen uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Wei­nenden. So sind wir. Wir tun das. Nicht, weil wir es sollen, noch nicht mal wirklich, weil wir es sollen, sondern quasi von selbst, weil wir gar nicht anders können.

Übrigens, ganz wichtig: Die so glauben und ihren Glau­ben so leben, die leugnen keineswegs, dass es so etwas gibt wie Bedrängnis und Not und Verfolgung, oder be­hauptet gar, dass die Weinenden keinen Grund zum Weinen haben. Das wäre ja völlig daneben (übrigens vor allem auch seelsorglich), um nicht zu sagen bescheuert, weil lebens- und menschen- und weltfremd.

Natürlich sind Kriege und Bürgerkriege, Terroranschläge und Terrorpolitik zum Verzweifeln. Natürlich kann uns die Kurzsichtigkeit, mit der Wirtschaft und Politik die Zer­störung unserer Umwelt betreiben, den Mut verlieren las­sen. Das verantwortungslose Brexitchaos, das die Briten gerade veranstalten, macht uns wirklich und wahrhaftig fassungslos. Und Herr Trump verursacht Übelkeit und Depression, klar.

Aber sollen das unsere einzigen Reaktionen sein? Sol­len wir, die Geliebten Gottes, von solchen Leuten unser Denken und Fühlen bestimmen lassen!? Sollen wir ihnen solche Macht über uns einräumen!? Im Leben nicht!

Vor vier Wochen haben wir Weihnachten gefeiert, die Menschwerdung Gottes, eine seiner schönsten Weisen, sich uns Menschen zuzuwenden. Vor zwei Wochen ha­ben wir an Epiphanias das Licht begrüßt, das Gottes Er­scheinen in der Welt entzündet hat.  Die Liebe, mit der Gott uns Menschen anschaut, ist Person und Bild gewor­den. Wir haben – gegen alle Widrigkeit, Not und Bösar­tigkeit in der Welt – allen Grund, uns zu freuen und mit dieser Freude in das weitere Jahr und Kirchenjahr zu gehen, trotz allem.

Wir lieben ohne Heuchelei, wir verabscheuen das Böse, sind einander und den Menschen in geschwisterlicher Liebe zugetan und kommen einander in gegenseitiger Achtung zuvor. Wir zögern nicht in der Hingabe, brennen im Geist, dienen dem Herrn. Wir freuen uns in der Hoff­nung, üben Geduld in der Bedrängnis, halten am Gebet fest. Wir kümmern uns um die Nöte der Heiligen, wir las­sen uns die Gastfreundschaft nicht ausreden. Verfolgung möge uns weiterhin erspart bleiben, aber wir schaffen es hoffentlich, zu entsprechender Zeit, unsere Verfolger zu segnen und nicht zu verfluchen. Wir freuen uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden.

Der Gesamtabschnitt, aus dem unser Predigttext kommt, endet übrigens mit den berühmten Worten „…sammelt feurige Kohlen auf ihr Haupt.“ Dazu sagte die Mutter meines theologischen Lehrers an der Uni Bonn immer: „Erstens ist es christlich, und zweitens ärgert es mehr.“

Ja, genauso machen wir das!

Wir sind fröhliche Protestantinnen und Protestanten.

Amen.

 

Dr. Sabine Zoske