Stellen Sie sich vor, Sie werden in der Fußgängerzone, vor einer Kamera & von einem Reporter, angesprochen und gefragt: „Sind Sie eher ein Optimist oder eher ein Pessimist? Welche Grundeinstellung liegt Ihnen näher?“ … Was würden Sie darauf antworten? Vielleicht würden Sie sagen: „Kommt drauf an …“ und hin und her wägen, vielleicht würden Sie sich aber auch spontan entscheiden, und sich einen Optimisten oder einen Pessimisten nennen.
So oder so ist es eine interessante Frage: Wie wir die Welt wahrnehmen, die Weltentwicklung, unsere Lebensumstände, die täglichen Nachrichten und die Frage nach der Zukunft …
Unsere Kinder jedenfalls – so habe ich es in meiner letzten Predigt gesagt – mögen ein Zeichen dafür sein, dass Gott den Glauben an uns Menschen noch nicht verloren hat! Und das sage ich auch heute morgen, nachdem wir den kleinen Max und den kleinen Phil getauft haben … Und als, seit zwei Wochen, frischgebackener Großvater einer kleinen Anna.
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Warum ich die Frage nach Optimismus oder Pessimismus an den Anfang stelle, hat etwas zu tun mit dem heutigen Predigtwort.
Er steht im Römerbrief 12,21 – und lautet: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“
Oder – in der Übersetzung der Guten Nachricht: „Lass Dich vom Bösen nicht besiegen, sondern überwinde es durch das Gute!“
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Vor ein paar Wochen sass ich mit einem guten Freund mitten in einer Fußgängerzone im Eiscafé.
Und irgendwie schaffen wir es immer wieder, in null-komma-nix sehr tiefsinnig zu werden und im wahrsten Sinne des Wortes „über Gott und die Welt“ zu reden. Ich erzählte von dem, womit ich mich gerade theologisch beschäftige – und auf meine Frage hin, was er mit dem so schillernden, uneindeutigen, auch fragwürdigen Wort „Gott“ verbinde, kam ein klarer und kurzer Satz – nämlich: „Gott oder das Göttliche ist für mich Licht und Liebe. Licht und Liebe – und die ganz konkrete, praktische Frage: Wie kann und wie will ich das heute leben!? Und an jedem Tag, den ich morgens beginne!“
Die Tatsache, dass ich dies zwei Monate später heute in der Predigt erzähle, zeigt, wie sehr es mich beschäftigt und in mir nachklingt: „Gott oder das Göttliche ist für mich Licht und Liebe. Licht und Liebe – und die ganz konkrete, praktische Frage: Wie kann und wie will ich das heute leben!? Und an jedem Tag, den ich morgens beginne!“
Ich weiss nicht, wer im Eiscafé rund um uns herum mitgehört hat oder da was aufgeschnappt hat … Um uns herum Menschen mit ihrem Kaffee und ihrem Eisbecher, und ihren alltäglichen Gesprächsthemen, inmitten einer Fußgängerzone. Aber befremdlich oder amüsiert oder verwundert mag Jemand schon zugehört haben – den Zweien, die da vom Göttlichen, von Gott, als „Licht“ und „Liebe“ reden.
Esoterik zwischen Karstadt, Cappuccino und Einkaufstüten.
Während ein Bettler gerade die Tische abklappert und eine Abfuhr nach der anderen kassiert. 500 Meter weiter Polizeiautos die Synagoge der Essener Innenstadt bewachen. Jemand Zeitung liest mit den neuesten Negativ-Nachrichten, ein Pärchen am Nachbartisch sich die ganze Zeit anschweigt, und Menschen um uns herum sind mit ihren ganz alltäglichen Lebensdingen, Freuden und Sorgen ….
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„Gott ist für mich Licht und Liebe!“
Was für viele Ohren vielleicht esoterisch klingt, ist durch und durch biblisch. Beides wortwörtlich so im 1. Johannesbrief: „Gott ist Licht“ und „Gott ist Liebe“.
Und weil das so ist, und darin eine Berufung liegt, kann Paulus sagen: „Lasst Euch nicht vom Bösen unterkriegen, sondern überwindet das Böse mit dem Guten!“
Das „Böse“ aber – was ist das?
Es ist alles, was unser Leben und Zusammenleben, was unsere Lebensgrundlagen und unsere Zuversicht dunkel macht und zerstört. Was uns in den Zustand der Lieblosigkeit, der Hoffnungslosigkeit, der Gleichgültigkeit oder der Angst versetzt.
- In der großen Politik – wie sie uns in den täglichen Nachrichten und in den Gesichtern von Trump, Putin, Assad, Erdogan und auf dem Parkett des eiskalten Profits begegnet, in der Rüstungsindustrie, den Konzernen und an der Börse.
- In den Strukturen – in denen bei uns für Kinder, Alte, Kranke & Sozialschwache scheinbar nicht mehr genügend Geld vorhanden ist – Menschen an den Grenzen Europas im Mittelmeer ertrinken – und rechte Populisten & Nationalisten gegen jede Vernunft wieder Land gewinnen.
- Und im ganz alltäglichen Mit-, oder besser Neben- und Gegeneinander, in dem wir uns täglich auf der Strasse, in öffentlichen Räumen, in der Nachbarchaft usw. z.T. immer angespannter und unwohler fühlen – und vielleicht manchmal darüber erschrocken sind, wie es uns selber zum Unguten verändert … Oder, wie Woody Allan es einmal formuliert hat: „Eigentlich bin ich ja ganz anders, viel netter – ich komm nur sowenig dazu!“
Das Böse, Negative, Zerstörerische hat jedenfalls oft etwas sehr Lähmendes. Es scheint oft unüberwindbar.
Und wir sagen dann: „So isses halt! So ist der Mensch! Damit muss man sich abfinden! Da können wir sowieso nichts ändern!“
Paulus jedenfalls widerspricht, wenn er den Christen in Rom damals schreibt: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Guten!“
Er formuliert damit eine Gegenrede, eine Ermutigung und einen Zuspruch, sich mit dem Bösen, wo immer es uns begegnet, nicht abzufinden.
Es nicht für alternativlos und unüberwindbar zu halten – nicht im Kleinen und nicht im Großen.
Er erinnert eine Christengemeinde – und wir zählen uns ja 2000 später dazu – an ihre Berufung, im persönlichen Leben, im Alltäglichen und im Sozialen, Politischen, Gesellschaftlichen, dem Bösen zu widerstehen – und ihm immer wieder das Gute entgegenzusetzen …
Woher – möchte man Paulus fragen – nimmst Du die Motivation dazu, die Zuversicht und die Kraft?
Mancher möchte mit Paulus auch jetzt gerne diskutieren: Was ist denn das Gute, was das Böse – als wenn das immer so klar wäre?
Und was hast Du scheinbar für ein idealistisches Menschenbild – wir sind da doch etwas aufgeklärter und nüchterner, ob wir nun mit Freud, Schopenhauer oder Camus die Welt und den Menschen betrachten!
Doch Paulus würde das nicht gelten lassen.
Er würde uns sagen: „Ihr wisst schon recht genau, an ganz vielen Stellen, was das Gute ist, was zu tun wäre, was hilft und vonnöten ist – also schiebt nicht immer vor, das alles so kompliziert und relativ ist!“
Und er würde uns sagen: „Die Motivation, die Zuversicht und die Kraft – die kommt doch aus dem, was uns in der Taufe zugesprochen wird, so wie Max und Phil heute morgen. Sie kommt doch aus dem Buch, das da vor unser aller Augen auf dem Abendmahlstisch liegt. Aus dem, was wir beten und singen, aus Vater-Unser & Segen, mit dem wir am Ende wieder hinausgehen in eine neue Woche!“
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„Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“
Mit diesem Wort erinnert uns der Apostel Paulus jedenfalls an unsere tägliche Berufung, „Liebe & Licht“ zu sein!
Und positiv zu leben und zu handeln, jeden Tag neu, mit den Möglichkeiten, die uns ganz sicher und in Gottes Namen gegeben sind.
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Zum Schluss noch ein Gedanke zum Mit-nach-Hause-Nehmen:
Das Böse, das uns so einschüchtert und manchmal so unüberwindbar scheint, wartet – so sagen es die Mystiker – eigentlich darauf erlöst zu werden. Es wartet darauf, mutig durchschaut, entwaffnet und umarmt zu werden.
Vielleicht hilft uns dieser Gedanke.
Denn hinter der Maske böser Gesichter, böser Verhaltensweisen, einschüchternder Boshaftigkeit steckt ganz häufig und immer wieder eine ganz tiefe Schwäche & Bedürftigkeit …
„Eigentlich bin ich ganz anders – ich komm nur so selten dazu“, war das durchaus tiefsinnige Wort von Woody Allen.
Helfen wir einander dazu, anders zu sein, besser zu sein, gut zu sein.
Die neue Woche gibt uns ganz sicher viele Möglichkeiten.
Thomas Corzilius